Von Macht und Grenzen
Nachdem ich gestern, ganz entgegen meiner sonstigen Zurückhaltung, den Mut aufbrachte, an einem Stammtisch teilzunehmen – als Teil einer Selbsttherapie, um mich aus meinem Schneckenhaus herauszuwagen und mehr unter Menschen zu gehen –, sind mir einige Fragen geblieben, die ich gerne mit euch teilen und vielleicht nach und nach hier zur Diskussion stellen möchte.
Zu dem Stammtisch in Heidelberg, der jede Woche stattfindet, noch kurz: Ich war erschrocken, überrascht und auch ein wenig entsetzt, als ich sah, wie sich unter der Woche über 20 Personen einfanden, die sich größtenteils untereinander gut kannten und in lockerer Runde ins Gespräch kamen. Da ich mit ein paar weiteren Neulingen vor Ort war, fühlte ich mich zumindest nicht vollkommen fremd und ausgeschlossen. Es gab auch Themenabende, bei denen eine Weile über ein vorher definiertes Thema diskutiert wird.
Der Abend, an dem ich teilnahm, drehte sich um die Frage: „Machtgefälle – inszeniert oder Lebensstil?" Diese Fragestellung führte zu teilweise kontroversen, aber immer spannenden Diskussionen. Allerdings wurden aufgrund der hohen Teilnehmerzahl nicht alle Punkte gründlich besprochen, und viele Fragen blieben offen. Im Wesentlichen ging es in der Diskussion um die Frage: Wer hat Macht? Wer gibt Macht? Wer kann Macht nehmen? Und was bedeutet Macht überhaupt?
Ich wurde mit der Aussage konfrontiert: „Wem die Macht genommen werden kann, der besitzt keine", die nach meiner Ansicht stark in einem Schwarz-Weiß-Denken wurzelt, das in der Szene häufig anzutreffen ist. Daher möchte ich ein paar Gedanken dazu teilen, die ich gerne zur Diskussion stellen möchte:
Nicht erst seit „Shades of Grey“ (Oh Gott, berufe ich mich wirklich darauf?) ist allgemein bekannt, dass im Kontext von Einvernehmlichkeit und den Praktiken des SSC (Sicher, Sane, Consensual) die Grenzen gemeinsam definiert werden, aber letztlich die Sub die Kontrolle darüber behält, wie diese Grenzen im Verlauf des Spiels verlaufen. Die Neigungen, Wünsche und Vorstellungen beider Partner bestimmen, in welchem Maße Grenzen überhaupt notwendig sind.
Ein weiterer wichtiger Aspekt in dieser Dynamik ist das Vertrauen, das sich der Dom erarbeiten muss und das durch entsprechendes Verhalten erhalten und gestärkt wird. Wenn das Vertrauen stark genug ist, kann es bis zu dem Punkt wachsen, an dem die Körpersprache allein ausreicht, um den Verlauf der Grenzen zu bestimmen. An diesem Punkt eröffnen sich Möglichkeiten für eine Gratwanderung, Grenzerfahrungen und sogar für eine Erweiterung der Grenzen.
Dieses Vertrauen, das durch Respekt und Achtsamkeit dem Partner gegenüber aufgebaut wird, bildet die Grundlage dafür, dass sich die Sub dem Machtgefälle hingeben kann, dass sie dem Dom die Macht zugesteht – sei es in einer temporären Spielbeziehung oder dauerhaft. Solange der Dom verantwortungsvoll mit dieser Macht umgeht und die Beziehung nicht durch äußere Einflüsse gestört wird, behält er diese Macht, ähnlich wie eine Regierung wiedergewählt wird, wenn ihr die Bevölkerung vertraut, oder ein Aufsichtsratsvorsitzender im Amt bleibt, wenn er das Unternehmen erfolgreich führt. In beiden Fällen haben sich Macht durch Vertrauen erworben, und diese Macht kann ihm auch wieder genommen werden.
„Wem die Macht genommen werden kann, der besitzt keine“… Dieser Satz erschüttert mich.
Wenn ich diesen Satz reflektiere, fallen mir in einem breiteren Kontext nur autoritäre Regimes, Gewaltherrschaft oder, mit Einschränkungen, Monarchien ein, in denen Macht vererbt wird. In Bezug auf die Szene erinnere ich mich an Praktiken, die nichts mehr mit Einvernehmlichkeit, Respekt und Achtung zu tun haben, die jenseits meines Toleranzbereichs liegen – und die als Machtmissbrauch zu bezeichnen wären.
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